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Guten Morgen Bad Sooden-Allendorf!

Guten Morgen Bad Sooden-Allendorf!

Ich war zur Kur – nee, Reha heißt das ja jetzt. Kur klingt immer so nach Fango und Tango. Will nicht, dass da ein falscher Eindruck entsteht, ist schließlich harte Arbeit. Morgens früh raus, Termine und Anwendungen. Mich hat es wieder in das reizvolle Werratal gezogen, das verträumte Bad Sooden-Allendorf. Mittlerweile komme ich seit 10 Jahren immer wieder dorthin. Und es ist so herrlich, wenn immer alles so bleibt wie es ist. Schmuckes Fachwerk (meistens), gepflegter Park und aufdringliche, verfressene Enten. Sonntags Tanztee im Kurhotel, bei warmen Wetter mit geöffneten Fenstern. Mumienschieben nennt das die Jugend.

Mir ist tatsächlich nie eine Stadt begegnet, die so sehr von Rollatoren, Rollstühlen und beschwerlich gehenden Menschen in Schwung gehalten wird. Da könnte sich die Verwaltung einen Rollator ins Stadtwappen dengeln lassen. Das wäre cleveres Tourismus-Marketing: Kommt nach Bad Sooden-Allendorf. Wir sind noch nicht ganz tot!

Tatsächlich scheint die Zeit in den 1960er-Jahren stehen geblieben zu sein. So nostalgisch das für manchen Zeitgenossen sein mag, so bitter ist es für die Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Rollstuhlfahrer sind vom reichhaltigen gastronomischen Angebot weitestgehend ausgeschlossen. Kneipen, Bistros, Restaurants, Eisdielen – überall 1-2 Stufen. Rollstuhlfahrer müssen draußen bleiben! Kennt man ja, die „Draußen-nur-Kännchen-Plätze“, die bereits bei trübem Wetter ab 10° C genutzt werden.  So geht gelebte Behinderung. Dabei wäre es so einfach: Pflaster anheben, Rampe anlegen, Zugang schaffen.

Im letzten Jahr schon staunte ich nicht schlecht, als mir der Flyer „Barrierefrei Bad Sooden-Allendorf“ in die Hände fiel.
http://www.bad-sooden-allendorf.de/fileadmin/user_upload/downloads/bsa_barrierefrei_flyer.pdf
Der Barrierefrei-Stadtplan ist eine Dokumentation dessen, was nicht möglich ist. Hier werden die Supermärkte großer Discounter-Ketten als barrierefreie Gebäude aufgeführt. Leider sind es fast die einzigen überhaupt! Die Verantwortlichen sollten sich ihren Flyer als To-Do-Liste auf den Schreibtisch legen.

Zwei erwähnenswerte positive Ausnahmen gibt es: Vor dem Café Deichmann wurde das Pflaster angehoben und eine Rollstuhl-Toilette installiert. Diese Toilette wird stark frequentiert, weil die öffentlichen Rollstuhl-Toiletten meistens nicht zugänglich sind. Café Deichmann ist ein Betrieb, von dem die gesamte Stadt profitiert. Das kann man nicht deutlich genug machen.

Im Bahnhof wurde vor ein paar Wochen die neue Zweistein-Bar eröffnet. Ebenerdig zugänglich über den Bahnsteig und auch mit Rollstuhltoilette. Rollifahrer, denen das Gradierwerk irgendwann langweilig wird, finden hier eine tolle Umgebung. Ich bin mir sehr sicher, dass die Bar mit diesem Konzept ein Erfolg wird.

Natürlich hätte ich Bad Sooden-Allendorf längst den Rücken gekehrt, hätte einen fetten Haken unter eine bis zur Halskrause verschuldete Stadt in einer strukturschwachen Region gemacht. Einer Stadt, die behinderte Menschen ausgrenzt und sich so mit einer hässlichen Fratze präsentiert. Nun sind mir in einer Kur … äh … Reha … geeignete Therapien, engagierte Therapeuten und Ärzte mehr wert als Cafè Latte, Currywurst Pommes oder ein Cocktail. Aber machen wir uns nichts vor, das Gesamtpaket muss stimmen. Selbst kleine Veränderungen in der Kliniklandschaft (bessere Angebote anderswo) könnten dazu führen, dass Patienten abwandern, Geschäfte schließen. Vielleicht sind Menschen mit Behinderung auch nicht mehr bereit, hinzunehmen dass sie ausgeschlossen werden. Nicht in einer Kurstadt, die genau von diesen Menschen am Leben erhalten wird. Guten Morgen Bad Sooden-Allendorf. Und lass dir einen Rollator ins Wappen dengeln!

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[TheChamp-FB-Comments]

Barrierewas?

Barrierewas?

Barrierefreies Bad

Schwäbische Provinz, 20 Uhr. Nach dreistündiger Anreise stehe ich mit einer Reservierungsbestätigung für ein barrierefreies Zimmer an der Hotel-Rezi, als mir die verwunderte, peinlich berührte Spätschicht erklärt, das Haus verfüge über keines solcher Zimmer. Uff!! Wie sagt man immer so schön: Das hatte ich auch noch nicht!

Was  war passiert? Vermutlich hatte mir eine sehr freundliche aber ahnungslose Aushilfe ein Zimmer bestätigt, das es gar nicht gibt. Und weil Behinderung nicht gleich Behinderung ist, hat das in der Vergangenheit wahrscheinlich auch mal funktioniert. Muss ja nicht gleich ein Rollstuhlfahrer kommen, der wirklich behindert ist.

Wer hier und da mit Hotels zu tun hat, weiß wie es um die Barrierefreiheit 2017 in Deutschland bestellt ist: sehr arm!
(Besagtes Hotel verfügt übrigens über 163 (!) Zimmer – keines davon barrierefrei.)

Zuhause ist natürlich auch nicht immer alles barrierefrei aber man kennt sich aus und kann sich arrangieren. Das Programmkino legt eine Rampe über sie beiden Stufen am Eingang oder beim Italiener kannst du über die Terrasse rein. So ist vieles machbar.

Hotelbetriebe könnten mit gutem Beispiel vorangehen. Lösungen anbieten statt immer nur auf Probleme zu verweisen: Altbau, zu teuer, kein Bedarf … Das Argument kein Bedarf ist an Hohn kaum zu überbieten.

Vor allem sollten sich Hoteliers endlich ernsthaft mit der Thematik Barrierefreiheit auseinander setzen und ihre Angestellten anständig briefen. Als Hotelgast mit Behinderung treffe ich flächendeckend auf eine fundierte Ahnungslosigkeit. Was habe ich nicht schon alles von der beherbergenden Zunft gehört? Hier die Top 5 der ahnungslosesten Antworten:

5 – Unser Haus ist nicht so richtig behindertengerecht aber andere Rollofahrer (Rollo!) haben sich bei uns schon sehr wohl gefühlt.

4 Das Zimmer ist sehr wohl behindertengerecht – nur nicht für Rollstuhlfahrer.

3 – Ach, Sie benötigen einen Aufzug? Wir haben zwar einen Lift, der ist aber meistens defekt. Könnten Sie im Notfall auch die Treppe benutzen?

2 Bei uns ist alles barrierefrei. Am Eingang ist eine 15 cm hohe Stufe, wenn Sie Probleme haben helfen wir gerne, es kommt dann jemand raus.

1Äh … barrierewas?

Ok, es gibt auch wirklich richtig gute barrierefreie Hotels. Häuser, in denen du dich einfach wohl fühlst. So, wie es für alle Gäste ohne Behinderung grundsätzlich üblich ist. Aber machen wir uns nichts vor, das sind immer noch Ausnahmen. Viele Gaststätten- und Hotels ignorieren die Belange behinderter Gäste weitgehend.

Können wir etwas tun? Jaaa! Unbequem sein, nachfragen und Menschen sensibilisieren. Starte in einem nicht barrierefreien Hotel/Restaurant eine Terminanfrage: Samstag im Mai, Familienfeier ca. 80 Personen, Abendessen, ca. 8-10 Übernachtungen. Frage ob ein Rollstuhlfahrer zurecht kommen würde: Ebenerdiger Eingang, Rollstuhl-Toilette, barrierefreies Zimmer…
Oh, nicht ganz barrierefrei? Das ist aber schade. Hm, dann muss ich mich leider anderweitig umsehen. So Schade …

Barrierefreiheit 2017 in Deutschland. Das unsägliche Bundesteilhabegesetz (und die teilweise absurde Debatte darum) hat verdeutlicht, wie weit politische Entscheidungsträger von der Lebenswirklichkeit der Betroffenen entfernt sind. Wer ernsthaft glaubt, diese soziale Bankrotterklärung sei die Umsetzung der (sechs Jahre alten) UN-Behindertenrechtskonvention in nationales Recht, macht sich lächerlich. Zum Kotzen lächerlich!