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Wo sind die Menschen mit Handicap?

Wo sind die Menschen mit Handicap?

Nun habe ich aber mal eine doofe Frage. Warum sieht man bei TV-Shows so gut wie nie Studiogäste mit Behinderung? Komisch, wo sind denn die?

Neulich brachte ein Post die Facebook-Gemeinde in Aufruhr: Eine Besucherin der RTL-Showaufzeichnung von DANCE DANCE DANCE schilderte, dass eine Frau mit Down-Syndrom offensichtlich umgesetzt wurde, damit sie nicht ins Blickfeld der Kameras gerät. Ist ein derart schändlicher Fall von Diskriminierung tatsächlich möglich? Die Presse griff diesen aufwühlenden Fall auf und berichtete ausführlich. Die BILD titelte „Frau mit Down-Syndrom in RTL-Show umgesetzt?“, der Berliner Kurier schrieb Schwere Vorwürfe Diskriminiert „Dance Dance Dance“ geistig Behinderte?“. Viele weitere Medien thematisierten diesen Fall ebenso.

Auch mir hat diese Geschichte den Puls beschleunigt, mich zornig gemacht. Aber, Entwarnung! RTL hat sich geäußert und mitgeteilt, dass zwei behinderte Studiogäste mit ihrer Betreuerin gebeten wurden, sich auf Plätze zu setzen, von denen aus der Notausgang schneller erreichbar war. Auch die Betreuerin bestätigte, dass die neuen Plätze besser als die vorherigen waren. Gott sei Dank, keine Diskriminierung, keine Verarsche, egal von wem. Zurück zur Tagesordnung?

Nicht ganz. Mich lässt das nicht los. Eigentlich möchte ich gar nicht, dass mich das beschäftigt, dieser TV-Studio-Mist. Tut es aber.

Letztes Jahr war ich bei der Aufzeichnung der ZDF-Heute-Show, hatte Monate auf die begehrten Karten gewartet. Im Mai ging es ins Studio nach Köln. Als Rollstuhlfahrer durfte ich auf Anfrage noch vor dem großen Pulk ins Studio und wurde von einer freundlichen Einweiser-Dame in Empfang genommen. Nun darfst du mal raten, was ich zu hören bekam. „Mit dem Rollstuhl müssen Sie sich an den Notausgang stellen.“ Am Notausgang bedeutete eine Art Nische, neben der eigentlichen Bestuhlung. Leck mich am Arsch! Da ist er wieder, der Notausgang! Damit ich nicht abseits irgendwo am Rand stehen muss, habe ich mich auf einen Studiostuhl umgesetzt. Aber bitte am Notausgang ganz rechts. Und ich Vollidiot hatte ernsthaft geglaubt, ich käme ins Fernsehen.

Notausgang. Wer glaubt denn ernsthaft, ein Rollstuhlfahrer komme im Notfall schlechter aus einem ebenerdigen Studio mit riesigen Zugängen als ein Fußgänger. Zumal Fußgänger erstmal über Treppen von der Tribüne herunter müssen? Also, in einer solchen Umgebung stehen Menschen mit Handicap einer raschen Evakuierung bestimmt nicht im Wege. In den meisten Theatersälen habe ich als Rollstuhlfahrer bisher mittendrin gesässen. Nicht abseits am Notausgang.

Ich unterstelle weder RTL, noch dem ZDF, noch irgendeiner Produktions- oder Ticketingfirma eine verabscheuungswürdige Diskrimierung von Menschen mit Behinderung. Genauso wenig denke ich, dass die Betroffenen der RTL Aufzeichnung DANCE DANCE DANCE einfach nur gute Mine zum bösen Spiel machten. Ich finde es großartig, dass die Augenzeugin IHREN Eindruck der Situation bei Facebook gepostet hat.

OK, es ist müßig, die Notausgang-Nummer zu hinterfragen. Da kommt man ohne investigativer Recherche zu keinem Ergebnis. Ich tue es trotzdem, weil hier offensichtlich etwas im Argen liegt. Und weil ich möchte, dass Menschen mit Behinderung sichtbar werden in unserer Gesellschaft. Es ist so unglaublich wichtig, dass funktionierende Inklusion, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung, gezeigt und wahrgenommen wird. Massenmedien sollten das als Auftrag verstehen. Scheiß drauf, ob vielleicht irgendein verkniffener Zuschauer irgendwas mal nicht sehen möchte.

TV-Sender verweisen oft auf ihr Engagement für Menschen mit Behinderung, auf Beiträge in denen Behinderungen thematisiert werden. Richtig und wichtig. Trotzdem, Menschen mit Handicap werden in der Öffentlichkeit sichtbarer, präsenter. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Die Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben hat also in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Moderne Kommunikations- und Rehatechnik sowie nicht zuletzt ein offeneres Verständnis ermöglichen das. Höchste Zeit also, dass die Botschaft bei den Zuständigen vom Fernsehen ankommt.

Der Dämon ist mein bester Kumpel

Der Dämon ist mein bester Kumpel

Nach sieben Jahren bekomme ich einen neuen Rolli. Als ich mir neulich meinen in die Jahre gekommenen Kumpel nochmal so ansah, kam mir das in den Sinn.

Neulich erzählte mir jemand, er sei bei einem Unfall haarscharf am Rollstuhl vorbeigekommen. Joh, da saß ich so vor ihm und es entlockte mir ein ernst gemeintes „zum Glück“.

Rollstuhl fahren ist gegenüber Laufen (ohne Handicap) irgendwie scheiße. Aber machbar … gut machbar.

Machen wir uns nichts vor, der Rollstuhl ist das Symbol für Behinderung und wahrscheinlich schaudert es vielen Menschen, wenn Sie an einen Rollstuhl denken. In meiner Kindheit habe ich Erwachsene sagen hören: Ich würde mich erschießen, wenn ich in den Rollstuhl müsste. Stammtischgeschwafel!

Ok, heute würde man nicht mehr unbedingt sofort zur Waffe greifen. Die Gesellschaft hat mittlerweile mehr Menschen mit Behinderung – und hier besonders gut sichtbar, Rollstuhlfahrer – aufgenommen und (Wunder!!) verkraftet. Menschen mit einer Behinderung gehören in die Gesellschaft – nicht an den Rand, sondern mitten rein. Diese aktive, sichtbare Teilhabe ist die Grundlage für ein offenes, inklusives Mindsetting.

Rollstuhlfahrer sind vielen Menschen dennoch fremd. Nicht selten ist der  Rollstuhl für Menschen, die ihn nicht brauchen, etwas fürchterliches, ein Dämon. Leck mich am Arsch, was nervt mich das! Es ist erstaunlich, wie viele beschränkte Kleingeister es gibt, die es nicht auf die Kette bekommen, offen zu denken. Sich mit neuen Themen auseinandersetzen, das ist clever! Neue Sichtweisen, Perspektiven kennenlernen, erleben, erfahren.

Der Rollstuhl lässt mich Dinge tun, die ich ohne ihn nie könnte. Er ermöglicht mir die Teilhabe an Gesellschaft und Beruf. Klingt abgedroschen? Mag sein, ist aber ohne Wenn und Aber existentiell. Der Rolli ist dabei mein bester Kumpel und treuester Begleiter, lässt mich an Seminaren teilnehmen, Vorträge halten, fotografieren, um die Welt reisen und mich mit Freunden treffen. Und auch wenn es sich bescheuert anhört, manchmal bin ich einfach froh einen bequemen Sitzplatz zu haben.

Nun trenne ich mich von meinem Kumpel

Nein, ich war nicht zur Wunderheilung in Lourdes. Ein neuer Rolli ist fällig, nach sieben Jahren ist meiner einfach verschlissen und passt nicht mehr so, wie er sollte. Ich freue mich natürlich auf den neuen Rolli, den alten mustere ich jedoch tatsächlich mit einer Träne im Knopfloch aus.

Ja, es wird so langsam Zeit, mich von einem treuen Weggefährten zu trennen. Sieben Jahre lang hat er mich  (Achtung Wortspiel) auf Schritt und Tritt begleitet. So bereisten wir die Welt von St. Petersburg über Stockholm und Helsinki bis Miami und mehrfach New York. Wir ließen uns die Gischt am Strand der Bermudas um die Nase hauen, holperten über das mittelalterliche Kopfsteinpflaster in Rom oder flanierten über die sagenhaft schöne aber tief traurige Strandpromenade von Nizza.

Der Rolli ist also kein Übel sondern etwas ganz und gar Wertvolles! Ich freue mich, das ich ihn habe und er mir zu Diensten ist. Über die Frage, ob es nicht besser sei, gar keinen Rollstuhl gebrauchen zu müssen, denke ich nicht nach. Warum auch?