Der Dämon ist mein bester Kumpel
Nach sieben Jahren bekomme ich einen neuen Rolli. Als ich mir neulich meinen in die Jahre gekommenen Kumpel nochmal so ansah, kam mir das in den Sinn.
Neulich erzählte mir jemand, er sei bei einem Unfall haarscharf am Rollstuhl vorbeigekommen. Joh, da saß ich so vor ihm und es entlockte mir ein ernst gemeintes „zum Glück“.
Rollstuhl fahren ist gegenüber Laufen (ohne Handicap) irgendwie scheiße. Aber machbar … gut machbar.
Machen wir uns nichts vor, der Rollstuhl ist das Symbol für Behinderung und wahrscheinlich schaudert es vielen Menschen, wenn Sie an einen Rollstuhl denken. In meiner Kindheit habe ich Erwachsene sagen hören: Ich würde mich erschießen, wenn ich in den Rollstuhl müsste. Stammtischgeschwafel!
Ok, heute würde man nicht mehr unbedingt sofort zur Waffe greifen. Die Gesellschaft hat mittlerweile mehr Menschen mit Behinderung – und hier besonders gut sichtbar, Rollstuhlfahrer – aufgenommen und (Wunder!!) verkraftet. Menschen mit einer Behinderung gehören in die Gesellschaft – nicht an den Rand, sondern mitten rein. Diese aktive, sichtbare Teilhabe ist die Grundlage für ein offenes, inklusives Mindsetting.
Rollstuhlfahrer sind vielen Menschen dennoch fremd. Nicht selten ist der Rollstuhl für Menschen, die ihn nicht brauchen, etwas fürchterliches, ein Dämon. Leck mich am Arsch, was nervt mich das! Es ist erstaunlich, wie viele beschränkte Kleingeister es gibt, die es nicht auf die Kette bekommen, offen zu denken. Sich mit neuen Themen auseinandersetzen, das ist clever! Neue Sichtweisen, Perspektiven kennenlernen, erleben, erfahren.
Der Rollstuhl lässt mich Dinge tun, die ich ohne ihn nie könnte. Er ermöglicht mir die Teilhabe an Gesellschaft und Beruf. Klingt abgedroschen? Mag sein, ist aber ohne Wenn und Aber existentiell. Der Rolli ist dabei mein bester Kumpel und treuester Begleiter, lässt mich an Seminaren teilnehmen, Vorträge halten, fotografieren, um die Welt reisen und mich mit Freunden treffen. Und auch wenn es sich bescheuert anhört, manchmal bin ich einfach froh einen bequemen Sitzplatz zu haben.
Nun trenne ich mich von meinem Kumpel
Nein, ich war nicht zur Wunderheilung in Lourdes. Ein neuer Rolli ist fällig, nach sieben Jahren ist meiner einfach verschlissen und passt nicht mehr so, wie er sollte. Ich freue mich natürlich auf den neuen Rolli, den alten mustere ich jedoch tatsächlich mit einer Träne im Knopfloch aus.
Ja, es wird so langsam Zeit, mich von einem treuen Weggefährten zu trennen. Sieben Jahre lang hat er mich (Achtung Wortspiel) auf Schritt und Tritt begleitet. So bereisten wir die Welt von St. Petersburg über Stockholm und Helsinki bis Miami und mehrfach New York. Wir ließen uns die Gischt am Strand der Bermudas um die Nase hauen, holperten über das mittelalterliche Kopfsteinpflaster in Rom oder flanierten über die sagenhaft schöne aber tief traurige Strandpromenade von Nizza.
Der Rolli ist also kein Übel sondern etwas ganz und gar Wertvolles! Ich freue mich, das ich ihn habe und er mir zu Diensten ist. Über die Frage, ob es nicht besser sei, gar keinen Rollstuhl gebrauchen zu müssen, denke ich nicht nach. Warum auch?